Kritiken und Besprechungen

 

Im Scheinwerfer (Link)

Grüne Organe - Ein Bericht und Fotostrecke zur Hauptprobe

Sonntag, 30. Januar 2011 um 00:00 Uhr Text&Fotos: Andreas Isenegger

Es begann mit einem Auftrag an die Autorin Astrid Kohlmeier vom Landestheater Schwaben. Das daraus entstandene Drama «Grüne Organe» hatte seine Uraufführung vor vier Jahren. Marco Hausammann-Gilardi brachte nun dieses Stück Ende Januar im Theater Palazzo in Liestal zum ersten Mal auf eine schweizer Bühne.


 

Nach seiner Aussage hat er ein Stück gesucht, bei dem die Figuren an und über ihre Grenzen gehen. Ein Stoff, der mit den Charakteren in die Tiefen der menschlichen Existenz eintaucht und die Szenen sich mit hoher emotionaler Dichte entwickeln. Nachdem er schon sehr viele Stücke gelesen hatte, für die er sich nicht entscheiden konnte, telefonierte er mit dem Verleger Per H. Lauke. Von den gemachten Vorschlägen gefiel ihm unter anderem «Grüne Organe» und hier im Speziellen, welche Reife Astrid Kohlmeier als junge Autorin bei diesem Erstlingswerk bewiesen hat. Bereits nach der ersten Lesung wusste er, dass er dieses Stück machen wollte. Da er damals gerade inmitten einer anderen Produktion war, legte er das Stück erst einmal weg.

 


 

Bei der Suche nach den richtigen Darstellern war Nic Aklin sehr früh als Elias gesetzt. Mit ihm hatte Marco Hausammann-Gilardi bereits mehrmals zusammen gearbeitet. Für die beiden weiblichen Rollen machte er Anfang letzten Jahres einen Castingaufruf, worauf sich über 100 Schauspielerinnen gemeldet haben. In mehreren Castingrunden hat er sich dann für Nicole Lechmann und Dominique Lüdi entschieden. Die ersten Proben begannen im letzten November. Da das Theater Palazzo als Ko-Produzent auftritt, konnte ein grosser Teil der Proben im Theater selber abgehalten werden.

 


 

Das Bühnenbild ist bewusst spartanisch gestaltet. Die Einfachheit der Bühne und des Lichtes stellt die Umsetzung des poetischen und heftigen Textes durch die drei Schauspieler in den Mittelpunkt. Einzig die Kleider wechseln von Szene zu Szene und vermitteln dem Zuschauer die Jahreszeit und somit den zeitlichen Fortgang der Geschichte.

Diese spielt auf einem Bahnhof und ist zumindest in Liestal am perfekten Ort, ist das Palazzo gleich neben dem Bahnhof. Bei anderen Spielorten sind es die Videoinstallationen, welche in kurzen Szenen und Einblendungen von Bild und Ton die mystische Atmosphäre eines Bahnhofs vermitteln. Der Bahnhof ist als betriebsamer und sogleich unpersönlicher Ort gewählt, welcher die Fokussierung auf einen Mikrokosmos erlaubt und der die Umwelt mehr ausblendet als beleuchtet.

 


 

Nudera (Nicole Lechmann) treibt sich Tag und Nacht am Bahnhof herum, auf der Suche nach dem Menschen, der «ihr Liebstes» halb tot gefahren hat: Ihre Mutter, eine alternde, widerspenstige, tyrannische und selbstsüchtige Schauspielerin. Sie sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl und benötigt dringend eine Spenderniere, der Autofahrer hat Fahrerflucht begangen. Ruhelos prüft Nudera nun die Gesichter der Reisenden auf der Suche nach einem Schuldigen, unfähig, stattdessen ihrer überlasteten Schwester Veza (Dominique Lüdi) zu helfen, die selber Mutter ist und die pflegebedürftige Mutter allein versorgt. Veza leidet unter einem Burnout.

 


 

Am Bahnhof begegnet Nudera dem Sonderling Elias (Nic Aklin), der sie zunächst für ein Strichmädchen hält. Als er jedoch von dem Unfall der Mutter erfährt, drängt er Nudera, ihre absurde Suche aufzugeben und ihrer Mutter zu helfen. Aus einer flüchtigen Begegnung wird Liebe. Ist es Liebe? Oder hat Elias ein schlechtes Gewissen und lässt sich deshalb mit Nudera ein? Getrieben von Eigeninteressen, Liebe, Moral, Selbstzweifel und Verzweiflung verstricken sich die Wege der Figuren. Geheimnisse bleiben verborgen, Behauptungen und Unterstellungen schüren Verdacht. Im Verlaufe der Handlung wechseln sich Opfer und Täter ab und eine Hass-Liebe verbindet sie. Legaler Organhandel ist teuer, und so laden sich Nudera und Elias eine gemeinsame Schuld auf, welche sie schlussendlich verbindet aber immer als dunkler Schatten über ihnen schwebt, derweil sich ihre Mutter und Veza am zurückgewonnenen Leben erfreuen.

 


 

Das Spiel der drei Darsteller lassen einem die etwas mehr wie eine Stunde im Flug vergehen. Der Aufwand des Castings hat sich gelohnt und ein fantastisches Ensemble steht auf der Bühne. Die dichte Dramaturgie lässt keine Langeweile aufkommen und lässt den Charakteren trotzdem genug Luft um sich zu entfalten und die emotionalen Wandlungen sichtbar zu machen. Die Kostümwechsel gehen erstaunlich flüssig von statten und das maximale Reduzieren des Bühnenbildes gibt Marco Hausammann-Gilardi recht, der seinen Schauspielern zugetraut hat, diese Leere mit ihrem Spiel zu füllen.

Angesprochen auf die intensiven Proben und das Engagement als Regisseur und Produzent bei diesem Stück meinte Marco Hausammann-Gilardi, er freue sich darauf, nach der Premiere mal wieder Zeit für seine Familie zu haben. Die 4 bis 6 Wochen vor der Premiere haben ihn vollkommen in Beschlag genommen. Aber zum Glück kennt seine Frau dies bereits und kann sich eher darauf einstellen wie seine Kinder. Am 3. Februar geht's dann wieder weiter, wenn «Grüne Organe» im «unternehmen mitte» in Basel spielt.

 

Darsteller
Nudera: Nicole Lechmann
Elias: Nic Aklin
Veza: Dominique Lüdi

Crative Team
Regie: Marco Hausammann-Gilardi
Produktion: brot und salz
Co-Produktion: Theater Palazzo, Liestal

www.brotundsalz.ch
www.grueneorgane.ch

 

Basler Zeitung, Dienstag, 8. Februar 2011, Kultur, Seite 33


An den Grenzen des Körpers

Astrid Kohlmeiers Theaterstück «Grüne Organe» wird im Unternehmen Mitte gespielt


DAVID WOHNLICH

Die Mutter gelähmt im Rollstuhl, die beiden Töchter auf unter- schiedlichen Wegen, damit um- zugehen: Stoff für familiäre und persönliche Verstrickungen mit der Gruppe Brot und Salz.

Nudera (Nicole Lechmann) starrt auf dem Bahnhof die Männer an. Sie hofft, den Fahrflüchtigen zu entdecken, der ihre Mutter invalid gefahren hat. Ihre Schwester Veza (Dominique Lüdi) pflegt zu Hause die extravagante Mutter, die nie sichtbar wird, aber dank der prägnanten Details, die man erfährt, bald plastisch vor einem erscheint.

Neben der paradiesvogelhaft aufgeputzten Nudera muss Veza wie die klassische graue Maus wirken. Allerdings ist sie die stärkere, realistischere Frau, die berechtigterweise nicht allzu viel davon hält, dass ihre Schwester ihren Sühnetraum auf ihre Kosten träumt.

Nudera trifft Elias (Nic Aklin) und freundet sich mit ihm an. Bald erhärtet sich der Verdacht, er sei der, nach dem sie Ausschau hält. Dennoch wird sie schwanger, arbeitet nebenher als Prostituierte, um Geld für eine Spenderniere für ihre Mutter zu verdienen. Während sie so ihre Körpergrenzen überwindet, stösst Veza an die ihren; sie will das Haus verkaufen und mit dem Erlös einen Pflegeplatz finanzieren. Schliesslich kommt Elias mit einer Niere vom Schwarzmarkt an. Doch die Niere löst keines der Probleme.

IN BEDRÄNGNIS. Es ist eine ziemlich spannende Verkettung von Beziehungsschwierigkeiten, die die Figuren in Bedrängnis bringen, und dem Theater Brot und Salz mit Regisseur Marco Hausammann-Gilardi gelingt es, die unwahrscheinlichen Ereignisse so dreist auf der Bühne zu behaupten, dass man sie glaubt. Dies, obwohl die 1983 geborene Astrid Kohlmeier sich zu viele Themen vorgenommen hat – Fussangel für viele begabte junge Autoren.

Ensemble und Regie haben das erkannt und setzen auf die Stärken des Stücks: die atmosphärische Dichte, die originäre Sprache, die Inhalte wie Entfremdung und Beziehungsunfähigkeit, selbst dem Ich und dem eigenen Körper gegenüber. So entstand mit «Grüne Organe» ein (mit dem Theater Palazzo entstandenes) Drama von einiger Kraft, das im etwas modischen Trend hin zu Familien- und Beziehungsstoffen eine eigene Sprache und einen eigenen Stand findet. Erlebenswert.